Wildwasserlehrgang auf Alpenflüssen
Um auch in Zukunft mit unseren Jugendlichen anspruchsvolle Touren mit Wildwasser-Charakter machen zu können, bilden wir besonders talentierte und sportliche Jugendliche im Wildwasserfahren aus. Wie die Erfahrung aus vergangenen Wildwasserfahrten gezeigt hat, ist eine Ausbildung in kleinen Gruppen sinnvoll, denn nur so ist eine gute Absicherung und ein rasches Eingreifen möglich. Von einem solchen Wildwasserlehrgang wollen wir hier berichten.
Am verlängerten Wochenende des 1. Mai brechen wir am Donnerstagabend in Richtung Süden auf. Wir sind 4 Personen: 2 alte Hasen, die schon mit vielen Wildwassern gewaschen sind, ein junger Wildwasseranfänger und unsere geschätzte Fahrerin, die uns an den Aussatzstellen abholen wird. Kurz vor Mitternacht treffen wir an der oberen Ammer in Rottenbuch ein. Leider hat der Kanutenzeltplatz beim „Kastenmöller“ zu, wir übernachten daher auf einem nahegelegenen Parkplatz.
Schon früh am Morgen treibt uns das Wasserrauschen der Ammer aus den Schlafsäcken. Nach einem kurzen Frühstück geht es in die Boote. Zum Einfahren haben wir uns die leichtere Strecke bis zur Böbinger Brücke ausgewählt. Bei schönem Sommerwetter und gutem Wasserstand wird dann auch gleich das Kehrwasserfahren, das Traversieren, die Seilfähre und andere Wildwassertechniken geübt. Beim Abreiten einer kleinen Walze passierte dann auch gleich die 1. Kenterung- Pasqual hat sein Boot nicht richtig aufgekantet. Mann und Boot konnten aber schnell geborgen werden. Nach einer rasanten Schußfahrt ein Wehr herunter, ist die Kenterung bald wieder vergessen. Die Aussatzstelle an der Böbinger Brücke war dann schnell erreicht und unser Fahrzeug stand schon für uns zur Rückfahrt bereit. Nach einer kurzen Brotzeit ging es dann mit dem Auto zur schönsten Wildwasserstrecke Deutschlands, an die Ammer nach Kammerl. Sie fließt durch eine Voralpenlandschaft, die Bayern weit über die Landesgrenzen berühmt gemacht hat: den Pfaffenwinkel.
Herbert Rittlinger schrieb über die Ammer: „Steile Ufer lassen keinen Fußweg zu und das Boot wird zum einzigen Mittel, in dieses Paradies einzudringen.“ Wie die Steyer und die Steirische Salza bietet die Ammer eine überraschende Vielfalt an Bodenformen und daraus resultierenden Freuden für den Paddler. Das tief eingegrabene Bett dieses Wildwassers steht teilweise unter Naturschutz. Die urwaldartige Vegetation der steilen Überhänge, die herrlichen Schleierfälle, Felsrippen, Inseln, Wasserfälle, sauberes Wasser, locken immer wieder viele Kanuten von Nah und Fern an.
Wer die Ammer noch nie gefahren ist, höchstens etwas von einer sagenhaften „Scheibum“ gehört hat, macht sich zu Fuß auf den Weg, um sich dieses Naturschauspiel anzusehen. Wer sie schon kennt, ebenso; das gehört sich so vor einer Ammer-Befahrung. Wir erweisen der „Scheibum“ unsere Reverenz. Wir haben Glück und können zuschauen, wie andere paddelnde Zeitgenossen das Problem lösen. An der besagten Stelle schießt die Ammer recht steil bergab, erst nach links, dann nach rechts und zuletzt über eine schräg im Schuß stehende Rippe.
Hat man die „Scheibum“ glücklich überwunden, kann man die fantastischen Felsriegel bewundern. Und weiter geht es, vorbei an einem riesigen „Badestrand für Gestrandete“, vorbei an Felsrippen, Kiesbänken, über eine Naturstufe, die recht überaschend kommt und mit Herzklopfen genommen wird. Immer wieder wartet der Fluß mit Überraschungen auf. Passiert man die Echelsbacher Brücke, sollte man lieber auf den Fluß achten, als auf die Leute, die oben winken. Wir meistern alle Schwierigkeiten ohne Kenterung und lassen abends am Lagerfeuer einen anstrengenden, aber erlebnisreichen Tag gemütlich ausklingen.
Nachdem wir am Vortage die Ammer befahren haben, geht es heute ins Karwendel nach Österreich an die obere Isar. Aussatzstelle ist der Grenzort Scharnitz. Die Privatstraße zur Einsatzstelle ist aus Naturschutzgründen für den allgemeinen Verkehr gesperrt. Wir lassen uns, aus Zeitgründen, mit dem Bootstaxi dorthin bringen. Eine andere Möglichkeit, bei der man die obere Isar am echtesten erleben kann, wäre, wenn man sein Auto in Scharnitz stehen läßt, Boot, Kleidung und Proviant auf einen Bootswagen packt und möglichst früh am Tag in Richtung Isarquelle loszieht. Vielleicht wird es eines Tages natürliche Wildwasserparks geben, oder regenerierte Flußlandschaften, in denen es selbstverständlich ist, daß man vor oder nach der Bootsfahrt zu Fuß am Fluß entlangwandert, um zum Start zu kommen oder das Auto wieder zu erreichen.
Oben an der Isar angekommen- wobei man je nach Lust, Laune und Wasserstand mehr oder weniger weit oben einsetzen kann- beginnen wir die Fahrt. Vorbei an bis zum Fluß herunterreichenden Schuttfächern, an duftenden Latschenkieferbeständen, immer tiefer hinein in eine Schlucht, geht es auf dem glasklarem Fluß. Dabei ist es ein Kunststück, sich ohne Berührung der vielen Felsbrocken, die in dem Wildbach liegen, herunterzumogeln. Sogar eine Art Katarakt muß überwunden werden. Pasqual, unser Anfänger, hält sich tapfer und kommt erstaunlich gut durch.
Schließlich steigert sich die Schlucht zu einer echten Klamm, zwar nicht beängstigend, doch sehr eindrucksvoll. Von links kommt der Gleirschbach, dann ist die Engstelle durchbrochen und die Isar fängt an, durch eine noch immer völlig natürliche einsame Schlucht zu kurven. Bäume hängen im Wasser, kleine Schwälle und Walzen sorgen für fahrtechnische Abwechslung, die Kurven werden immer enger. Herrliche Kehrwasser nutzen wir zum Üben und Spielen.
Hinter einem Kieswerk mit einem fahrbaren Wehr ist dann die Fahrt in Scharnitz zu Ende. Nach einer kleinen Wanderung setzen wir uns wieder in unser Fahrzeug, um zu unserem nächsten „Flußabenteuer“, der Loisach, zu fahren. Am Eingang der Griesenschlucht finden wir einen guten Übernachtungsplatz, und beschließen dort zusammen mit anderen Kanuten am Lagerfeuer diesen aufregenden Tag.
Als krönender Abschluß unseres Wildwasserwochenendes sollte es an unserem letzten Tag auf die Loisach gehen. Viele Wildwasserfans treffen sich hier auf der oberen Loisach, an der bekannten Griesen- Schlucht bei Garmisch. Die darf man sich nicht allzu dramatisch vorstellen was ihre Tiefe und Länge betrifft. Mancher Südfrankreich- oder Jugoslawienkenner mag bei ihrem Anblick nur heimlich lächeln. Für den ehrgeizig nach höheren Schwierigkeitsgraden Strebenden, kann diese Schlucht jedoch zur Hölle werden. Zahlreiche Bootsscherben, von der Loisach gnädig bis zur Unkenntlichkeit verarbeitet, geben ein aufschlußreiches Bild.
Bei Normalwasserstand setzt man vor dem Geschwandsteg am Ende der leichteren Strecke unterhalb der Landesgrenze ein. Noch hat man Zeit, einen Blick auf die immer wieder begeisternde Kulisse der Zugspitze zu werfen, wie überhaupt das obere Loisachtal uns jedesmal schlagartig in Urlaubsstimmung versetzt. Wie schwer die Schlucht zu fahren ist, kann man am besten abschätzen, wenn man jahrelang alle möglichen anderen Wildwasser gefahren ist und die „Griesener“ nicht mehr in- und auswendig kennt. Natürlich fehlt die Wucht der Ötztaler Ache, die Abstürze der Brandenberger Ache und die Geschwindigkeit der Koppentraun. Aber man muß schon über eine sehr entwickelte Fahrtechnik verfügen, um die chaotisch im Flußbett liegenden Felsblöcke sauber zu umfahren. Es gibt zwar genügend Kehrwasser, so daß man sich von einem zum anderen flußab „hangeln“ kann. Doch an manchen Stellen ist es trotz Kehrwasser nicht mehr möglich zu entscheiden, wohin man das Boot wenden soll. Im „Dom“, einer markanten Felsformation, fahren dann manche prompt in die „Garage“, nämlich dahin, wohin das meiste Wasser läuft und die Weiterfahrt unmöglich ist. Weiter unten im „Treppenhaus“, wenn man glaubt, sich dran gewöhnt zu haben vor Felsen die Loisach nicht mehr zu sehen, fällt der Fluß ziemlich steil nach unten. In einem Felschaos, durch das man das Boot fast auf den Zentimeter genau manövrieren muß, bietet er in einem herrlichen Schwall dem Könner ein echtes Vergnügen, dem Neuling den Beweis, daß Wildwasser III schon außerordentlich viel Technik und Taktik verlangt. Man lasse sich durch die Bewertung nicht verdrießen, denn Wildwasser III ist immerhin schon schweres Wildwasser.
Leider war der Wasserstand dieser tollen Strecke für unsere Gruppe zu hoch. Eine Befahrung mit einem Anfänger wäre zu risikoreich gewesen. (Pegel Gschwandsteg 160, normal sind 120 cm). Besonders schön ist aber auch der Start ganz oben bei Ehrwald, wo der Fluß aus einer riesigen moorigen Ebene, eingebettet zwischen Zugspitze, Mieminger Kette und Grubigstein, sein Wasser bezieht. Entlang der Straße, später weiter davon entfernt, schäumt die Loisach dahin, durch lockeren Bergwald und eine wundervolle alpine Vegetation. Es ist eine schnelle und lustige Fahrt, nur eine hinterlistige Stelle „der Gumpen“ sollte jedesmal neu erkundet werden. Hier schießt die Loisach nach zunehmenden Gefälle etwa 2 Meter steil nach unten. Danach wird der Fluß allmählich leichter bis zum Gschwandsteg, dem Beginn der Loisachschlucht.
Leider geht ein solches Wochenende viel zu schnell vorbei. Wir verladen schon wieder gegen Mittag unsere Boote, um uns auf den langen Heimweg zu begeben.