Herbstwanderfahrt auf der Moldau
Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges im Osten Europas tun sich, für uns Kanuten ungeahnte Möglichkeiten auf. Können wir doch jetzt eine Unzahl von Flüssen befahren, die vor der Wende überhaupt nicht oder zumindest nur unter großen bürokratischen Schwierigkeiten für uns erreichbar waren. Die Moldau mit ihrem grenznahen Verlauf zur BRD ist darüber hinaus nicht weit entfernt, so daß sich auch eine relativ kurze Fahrt von einer Woche hierhin lohnt. Familie Raabe hatte schon einige Wochen vorher der Moldau einen Besuch abgestattet und konnte daher ihre gesammelten Erfahrungen in diese Fahrt einfließen lassen.
8 Erwachsene und 7 Jugendliche unseres Vereins fuhren Anfang Oktober zu diesen für die meisten von uns unbekannten Fluß. Die Moldau ist der größte, schönste und kulturell interessanteste Fluß Böhmens. In ihrem Oberlauf fließt sie durch die Täler des Bömerwaldes, begleitet von Bergen bis 1100 m Höhe; sie ist hier mäßig schweres Wildwasser. Für eine Befahrung der Moldau sollte man sich Zeit lassen, nicht nur um Wasser und Landschaft zu genießen, sondern vor allem auch, um sich mit den zahlreichen am Weg liegenden Zeugen einer wechselvollen Vergangenheit vertraut zu machen. Die Wanderstrecke bietet, abgesehen von mehreren fahrbaren Floßgassen sowie einigen Umtragestellen, keine besonderen Schwierigkeiten.
Nach ca. 500 Kilometer Autofahrt erreichen wir Soumarsky Most, einen Campingplatz, mitten im Böhmerwald. Der Herbst hat schon seinen Einzug gehalten und alles in wunderschöne Farben getaucht. Die Moldau ist hier oben noch sehr klein und heißt hier Tepla Vltava (Warme Moldau), ist aber schon mit unseren Booten befahrbar. Das Wasser ist glockenklar und man kann daher viele Fische, hauptsächlich Forellen, darin schwimmen sehen. Nachdem wir unsere Zelte aufgebaut haben und genügend Holz für unser Lagerfeuer gesammelt haben, wollen wir uns erst einmal nach der langen Autofahrt die Beine vertreten. Wir wandern durch eine Hochebene mit Wald und sumpfigen Abschnitten auf einem guten Wanderweg zum 5 Kilometer entfernten Volary (Wallern). Hier kehren wir ein und lassen uns die gute böhmische Küche schmecken. Auch die Hungrigsten unter uns sind nach den vielen Knödeln mit Schweinefleisch schon bald satt, unsere Erwachsenen lassen sich darüber hinaus noch das hervorragende tschechische Bier gut schmecken. Angenehm überrascht sind wir später beim Zahlen, denn die Preise liegen hier bei ca. 1/4 von den von uns in Deutschland gewohnten Preisen.
Mit vollen Bäuchen geht es dann wieder zurück zu unseren Zelten. Es ist schon später und längst dunkel geworden. Nur der Mond taucht die Landschaft in ein diffuses Licht. Bei zunehmender Dunkelheit in den Waldabschnitten werden auch die Mutigsten plötzlich ganz still. Als dann auch noch aus dem Unterholz fauchende und grunzende Laute zu hören sind, flüchten fast alle in wilder Flucht zu dem nur noch ca. 1km entfernten Zeltplatz. Groß ist das Gelächter am wärmenden Lagerfeuer, als sich herausstellt, daß die vermeintlichen Luchse und Wildschweine Hermann, Peter und Gerhard waren. Die drei hatten sich in alten zugewachsenen Schützengräben versteckt und die Tierlaute täuschend echt imitiert. Noch lange sitzen wir ums Lagerfeuer und schmieden Pläne für die kommenden Tage.
Trotz dieser langen Nacht kommen am nächsten Morgen alle frühzeitig aus ihren Schlafsäcken, selbst den 2jährigen Dimitri hält nichts mehr in seinem warmen Schlafsack, gibt es doch draußen viel zu sehen: Unter anderem eine Horde junger Huskys, die Socke, unseren Wolfsspitz, zum Spielen animieren wollen. Nach einem zünftigen Frühstück im Freien geht es dann gleich in die Boote. Heute fahren wir ein landschaftlich und naturmäßig besonders reizvolles Teilstück der Moldau. Die Tepla Vltava (Warme Moldau) durchfließt hier mit vielen Schleifen ein ausgedehntes Hochmoor. Der Wasserstand ist zwar stellenweise recht knapp, aber selbst für unsere Canadier reicht es aus. Das Wasser ist sehr sauber und wir sehen daher oft die Forellen durchs Wasser schießen. Es ist im Schatten unangenehm kühl, aber sobald die Sonne herauskommt, ist es wieder warm. Auf einer sonnenbeschienenen Wiese, kurz vor dem Zusammenfluß mit der Studena Vltava (Kalte Moldau) machen wir eine ausgiebige Pause und tanken noch einmal richtig Sonne. Weiter geht es auf der Moldau die jetzt Vltava heißt, zu einer kleinen Straßenbrücke. Dort beenden wir unsere Fahrt. Wir sind knapp 20 km bis hierher gepaddelt. An dieser Brücke ist die einzige Möglichkeit, auf dieser Strecke, mit unseren Fahrzeugen an die Moldau heranzukommen. In ca. 1km Entfernung befindet sich ein kleiner Bahnhof. Wir laufen dort hin und fahren mit einem Schienenbus wieder zurück zu unseren Zelten. Jetzt können wir die tolle Landschaft noch einmal aus einer anderen Perspektive erleben. Abends gehen wir wieder gut Essen und später sitzen wir noch lange ums Lagerfeuer.
Am darauffolgenden Tag wollen wir mal unsere Boote an der Moldau liegen lassen und eine Wanderung durch den nahe gelegenen Urwald machen. Der Boubinsky prales (Kubany-Urwald) ist ein weltbekannter Urwald. Die gegenwärtige Fläche beträgt 666 ha. Der Urwald Boubin wurde 1933 zum Naturschutzgebiet erklärt. Den heutigen „Kernbestand“ des Urwaldes bilden vor allem Buchen, Fichten und Tannen. Es ist der besterhaltene Rest der ursprünglichen Mischwaldbestände des Böhmerwaldes, der Rest des sogenannten „Grenzhochwaldes“. Die ältesten Fichten und Tannen sind wahrscheinlich 300-400 Jahre alt. Die uralten Fichten und Tannen überragen die dichte Laubkrone der Buchen und erstaunen uns durch ihren Umfang und interessante Formen der Stämme. Die höchste Kubanyfichte, „die Königin der Fichten“, die 1970 umfiel, war 57 Meter hoch und hatte einen Umfang von 30qm. In der Höhe von 1m betrug der Stammumfang 508 cm. Neben diesen Riesen ziehen auch weitere Bäume mit ungewöhnlichen Deformationen (mächtige Geschwüre, Doppelbäume, harfenartig zusammengewachsene Bäume) oder Fichten auf breiten Stelzenwurzeln und viele andere Wachstumsbesonderheiten die Aufmerksamkeit auf sich.
Sehr beeindruckt von den Urwaldriesen und der vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt geht es dann wieder zurück zu unseren Fahrzeugen. Wir wollen heute noch zum ca. 80 km entfernten Rozmberk (Rosenberg), unserem neuen Standquartier, fahren. Eine Weiterfahrt mit unseren Booten ab der gestrigen Aussatzstelle erscheint uns nicht sinnvoll, wegen des folgenden ca. 30 km langen Lipno-Stausees und einer ca. 10 km langen unfahrbaren Wildwasserstrecke.
Die Herren der Stadt Rozmberk gehörten zur berühmten Dynastie der Rosenbergs. Die Burg wurde im 13. Jahrhundert auf einem steilen Felsen über der Moldau erbaut. Sie ist der ursprüngliche Sitz der „Herren der Rose“. In der Vorburg befindet sich ein altertümlicher Wachturm und ein Palais mit zwei Türmen aus dem 14. Jahrhundert. Der Ort unter der Burg wurde 1262 gegründet. Hier findet man viele gut erhaltene und historisch wertvolle Bauten. Die Heilige Maria Kirche stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Auf dem Marktplatz steht eine Statue des Johann von Nepomuk aus dem Jahre 1722. Das Pfarrhaus ist spätgotisch und aus dem 15. Jahrhundert.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir unser Ziel. Schnell sind die Zelte aufgebaut und genügend Feuerholz für die Nacht herangeschafft. Der Zeltplatz von Rozmberk ist von Wald und einer Schleife der Moldau umgeben und liegt direkt unterhalb der Burg. Natürlich finden wir wieder ein gutes Lokal, in dem wir auch an den darauffolgenden Tagen mit böhmischen Spezialitäten verwöhnt werden. Am allabendlichen Lagerfeuer beschließen wir wieder einen schönen Urlaubstag.
Nach einer recht kalten Nacht,- alles ist mit Rauhreif überzogen und stellenweise ist der Boden hart gefroren- kommen die Meisten erst spät aus ihren Schlafsäcken und wärmen sich am schnell entfachten Lagerfeuer. Aber gegen 11.00 Uhr steht die Sonne schon wieder hoch am Himmel und wärmt uns wieder auf. Wir paddeln heute mit unseren Kanus von Vissy Brod (Hohenfurth) zu unserem Zeltplatz in Rozmberk. Gleich zum Auftakt wartet eine spritzige Floßgasse auf uns, die von allen gut gemeistert wird. Die Sonne hat jetzt ihren höchsten Stand erreicht, es ist wieder angenehm warm. Das zweite Wehr tragen wir kurz um, um direkt danach die schöne Naturslalomstrecke von Herbertov zu befahren. Im Gegensatz zum ersten Teilstück vor 2 Tagen haben wir jetzt viel mehr Wasser unterm Kiel und die Strömung ist noch besser geworden. Die Flußstrecke geht fast nur noch durch dichten Wald. Nach gut 3 Stunden genüßlicher Fahrt, erreichen wir Rozmberk. Schon von weitem kann man Burg und Kirchturm erkennen. Kurz vor der Aussatzstelle müssen wir aber noch eine Floßgasse passieren. Der kleine Dimitri mit seiner Mama zieht es vor, den trockneren „Fußweg“ zu dem 1 km entfernten Zeltplatz zu wählen, was auch gut so ist, denn die Floßgasse erweist sich als überaus „naß und steil“. Hauptsächlich die Canadierfahrer unter uns nehmen viel Wasser auf. Nachdem die Kanus geleert und alle wieder trockene Klamotten am Leib haben, gehen wir unseren nun schon allabendlichen gewohnten Beschäftigungen nach. Heute gibt es als Hauptspeise einen großen „Rosenbergteller“ und zum Nachtisch Mohnbuchteln mit Heidelbeeren und Schlagsahne.
Die heutige Nacht wird noch kälter, bringt uns aber einen schönen klaren Sternenhimmel. Der kommende Tag wartet gleich mit einer Überraschung auf: An mit Rauhreif überzogene Zelte und Dinge die draußen liegen geblieben sind, haben wir uns inzwischen gewöhnt, aber daß unsere rohen Frühstückseier hart gefroren sind, erstaunt uns dann doch etwas. Aber bevor die Eier von der Sonne aufgetaut werden, haben wir sie auch schon geschält und zu Rührei mit Speck verarbeitet. Wie am Vortage wird es gegen Mittag wieder warm, so daß wir uns nach einer kurzen Schloßbesichtigung gut gelaunt in unsere Boote schwingen können. Auf der Folgestrecke bis Zaton liegen keine Floßgassen, aber dafür haben wir eine herrliche Strömung mit einer landschaftlich hervorragenden Kulisse. Unterwegs kaufen wir einem Angler einen gerade aus der Moldau geholten, ca. 7 Pfund schweren Karpfen ab, den wir uns spät abends am Lagerfeuer mit Knoblauch und zerlassener Butter schmecken lassen. Diese Nacht wird nicht mehr so kalt, dafür ziehen Wolken auf.
Das Wetter hält sich, es regnet noch nicht. Einige von uns wollen am kommenden Tag einen Einkaufsbummel in Cesky Krumlov (Krumau) machen und danach wieder in Richtung Heimat fahren. Cesky Krumlov, heute eine Kreisstadt, wurde 1274 gegründet. Schon ein halbes Jahrhundert davor wurde auf dem Felsen über der Moldau eine Burg gebaut, die vor allem durch die späteren Besitzer, die Rozmberks, bekannt wurde. Seit dem 14. Jahrhundert wurde die Stadt zum Zentrum der Herrschaft dieser Dynastie. Hier blühte der Handel und das Handwerk. In den Jahren 1394 und 1402 hielten die Rozmberks sogar den König gefangen. Die großzügig angelegte Burg mit drei Höfen und fast dreihundert Zimmern gehört zu den Schönsten in Böhmen. Sie ist die zweitgrößte nach der Prager Burg. Die Stadt wird von Fachleuten den bedeutesten urbanen Denkmälern in Europa zugeordnet. Sie ist ein städtisches Denkmalreservat unter dem Schutz der UNESCO.
Wir wollen heute noch einmal paddeln, wartet doch eine Strecke mit vielen Wehren und Floßgassen auf uns, so wie eine Durchfahrt durch das mittelalterliche Cesky Krumlov. Als erstes passieren wir eine Bootsgasse an der Papierfabrik von Vetrni. Wie Pfeile schießen unsere Boote die schmale Bootsgasse hinunter. Die Fabrik macht einen sehr desolaten Eindruck. Wir sehen daher zu daß wir weiterkommen. Die Abwässer dieser Fabrik werden jedoch erst 10 km unterhalb der Fabrik in die Moldau eingeleitet. Die nächste Floßgasse ist sehr steinig, aber wir kommen alle gut durch. Das erste Wehr kurz vor Cesky Krumlov hat keine Floßgasse, ist aber auf der rechten Seite befahrbar. Stefan übersieht einen Stein und kentert unterhalb des Wehres. Schnell helfen wir ihm, sein Boot zu entleeren, damit er sich schnell umziehen kann. An der Floßgasse des 4. Wehres kneifen wir, denn im Auslauf befindet sich eine mächtige Walze, die nicht nur den Anfängern unter uns gehörigen Respekt einflößt. Wir wählen daher die etwas trockenere Variante über die Wehrkrone. Das letzte Wehr an unserer Aussatzstelle ist ein richtiger Hammer, aber ungefährlicher, denn es befindet sich keine Walze sondern „nur“ eine große Widerwelle im Auslauf. Nur 2 von uns trauen sich an dieses feuchte Vergnügen. Zuerst fährt Gerhard und schießt sicher durch die Widerwelle, Jan bekommt die volle Wucht der Widerwelle zu spüren und verliert dabei fast sein Paddel. Naß bis auf die Haut, aber Stolz auf die Befahrung, beenden wir hier unsere Fahrt und tragen unsere Boote unter einer Schloßbrücke hindurch, zu den bereitstehenden Fahrzeugen.
Wir werden dort schon von unseren Leuten erwartet und berichten ihnen von unseren tollen Wehrfahrten. Nach dem Umziehen und Verladen der Boote, gehen wir essen in einem mittelalterlich anmutenden Lokal. Danach machen wir einen Bummel durch das schöne Cesky Krumlov und besuchen den Markt und die hübschen kleinen Läden der Stadt. Danach fahren wieder zurück nach Rozmberk.
An unserem letzten Urlaubstag beginnt es kräftig zu regnen. Das macht uns den Abschied leicht und so machen wir uns auf den Heimweg durch den schönen Bayrischen Wald, wo es am Grenzübergang bereits schneit.
Die kalten, sternenklaren Nächte, an denen wir eng am Feuer saßen und uns wärmten, die kurzen sonnigen Herbsttage, die einzigartige Fluß- und Waldlandschaft mit großen Naturschutzgebieten, die mittelalterlich anmutenden lebensfrohen Städte und nicht zuletzt das gute Essen, hatten ihren besonderen Reiz, so daß wir bestimmt zu einem weiteren Besuch aufbrechen werden, um das Land, seine Flüsse und seine Bewohner besser kennenzulernen.