Spreewald
Der Teufel pflügte mit seinem Gespann in der Eiszeit das Bett der Spree. Doch nach einem Gutteil der Strecke machten die Ochsen schlapp und lagen müde in den Riemen. Der Mann mit dem Pferdefuß warf wütend die Mütze nach den Tieren und zischte: „Euch soll meine Großmutter holen!“ Das giftige Fauchen schreckte die Ochsen auf. Sie ergriffen die Flucht und zogen dabei den Pflug die Kreuz und die Quer hinter sich her.- So entstand das Netz der 330 großen und kleinen Wasserarme, der Spreewald- jedenfalls der Sage nach.
Fachleute geben da eine plausiblere, natürlichere Erklärung: Beim Abfluß der Schmelzwässer vom Rande des letzten skandinavischen Inlandeises blieben große Massen von Ablagerungen zurück. Die Spree schüttete einen breiten Schwemmsandfächer auf. Hier konnte sich der Fluß mit dem geringen Gefälle von nur sieben Metern auf 34 Kilometern Hauptspree zwischen den Orten Fehrow und Lübben- sie begrenzen diese in Mitteleuropa einmalig schöne 175 Quadratkilometer große Naturlandschaft- nicht in den Boden eingraben. Das Wasser strebte fingerartig auseinander, und es entstanden die vielen Spreewaldfließe. Auf diese Fließe zog es uns für eine Woche in den Herbstferien.
Die Anfahrt über Dresden gestaltete sich erträglich, da wir die verkehrsintensiven Zeiten meiden konnten. Zu Pfingsten hatte Familie Raabe dem Spreewald bereits einen Besuch abgestattet und einige Erfahrungen gesammelt, die uns bei dieser Fahrt zugute kommen sollten. Übernachtet wurde in der Jugendherberge am Byhlegurer See. Ein echter Luxus gegenüber unseren sonst üblichen Zeltlagern. Doch Zelten wäre auch gut gegangen, da wir mal wieder herrliches Wetter haben sollten. Abseits vom Touristenrummel in Lübbenau und Lübben, starteten wir am „Waldschlößchen“ in Richtung Leipe. Nach kurzer Fahrt wurden uns gleich Spreewaldspezialitäten in Form von eingelegten Gurken vom Ufer aus angeboten. Wir konnten natürlich nicht widerstehen. Durch eine herrliche Landschaft auf Fließen mit Namen wie: Wildbahnfließ, stilles Fließ, Trotzkifließ oder Rohrkanal erreichten wir bald das Dorf Leipe. Nach einer ausgiebigen Pause auf einer schönen sonnigen Wiese, ging es wieder zurück zur Einsatzstelle, denn anders als bei Flüssen in unserer Gegend, haben die Fließe im Spreewald meist kaum Strömung und man hat daher keine Probleme beim Stromaufwärtspaddeln. Es wurde schon langsam dämmerig, als wir in der Jugendherberge ankamen. In der „Jägerhütte“, die uns eigens zur Geselligkeit und zum Kochen zur Verfügung gestellt wurde, konnten wir einen schönen Tag ausklingen lassen. Hier im Spreewald leben die Sorben. Die Sorben kamen um 600 in den Spreewald und siedelten in dem wasserreichen Waldland auf den höher gelegenen Stellen, den Kaupen, und an den Rändern der Niederungen. Jagd und Fischerei waren anfangs die wichtigsten Erwerbsquellen. Später entwickelte sich mehr und mehr die Landwirtschaft, um die anwachsende Bevölkerung zu ernähren. Neues Siedlungsland mußte über viele Generationen mühsam durch Entwässerung dem Sumpfland abgerungen werden. Seit dem 10. Jahrhundert gerieten die slawischen Einwohner unter deutsche Feudalherrschaft. Deutsche Handwerker und Bauern kamen ins Land. Es wurden Städte gegründet und neue Dörfer angelegt. Trotz der jahrhundertelangen Unterdrückung behauptete sich sorbisches Volkstum und sorbische Sprache. Ausdruck sozialistischer Nationalitätenpolitik war das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“. So findet man im Spreewald allerorts zweisprachige Straßen- und Ortsschilder. In den Schulen wird sorbisch gelehrt, Volksbräuche leben wieder auf, man eignete sich sorbisches Volksgut an, auch in Liedern und Tänzen findet das seinen Ausdruck.
Nach dieser Information über die Ureinwohner des Spreewaldes, zurück zu unseren Kanufahrten. Wir hatten uns an unserem 2. Tag im Spreewald den Neuzaucher Hochwald ausgesucht, ein etwas entlegener Teil des Spreewaldes, wo nicht viele Touristen hinkommen. Wir waren begeistert von der Natur und der Ruhe hier im Neuzaucher Hochwald. Spannend wurde es, als unsere Karte nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Wir fuhren aber in die richtige Richtung und konnten nach einstündiger „Suchfahrt“ wie-der nach unserer Karte paddeln. Leider mußten wir öfters solche Fehler in den Wanderkarten aus DDR-Zeiten feststellen, was uns aber nicht davon abhalten konnte, schöne Gegenden zu erkunden.
Nach einem langen und anstrengenden Tag im Boot, zog es uns Tag’s darauf in die Stadt, nach Cottbus. Dort besuchten wir das Planetarium und erhielten so einen anschaulichen Einblick in die Himmelsmechanik. Viel Spaß machte uns danach eine Fahrt mit einer alten Eisenbahn. Mit viel Dampf, Ruß und Gestank ging es zum Tierpark, in dem nicht nur unsere Jüngsten Spaß hatten. Dieser schöne Tag ging beschaulich, bei Grillwürstchen und Bier, in der romantisch gelegenen Grillhütte direkt am Byhlegurer See, zu Ende.
Nach dem Stadtbummel am Vortage in Cottbus, zog es uns wieder zum Paddeln in die Natur. Dieses Mal sollte es in den Unterspreewald gehen. Der Unterspreewald mit seinen sehr alten Baumbeständen ist zum größten Teil Naturschutzgebiet und für uns Kanuten teilweise gesperrt. Für uns ein Grund mehr, die letzten noch frei befahrbaren Stücke Natur noch einmal zu erleben. Leider werden hier Touristen mit motorangetriebenen Kähnen durch die Gegend „geschippert“, und wie wir aus verläßlicher Quelle erfahren konnten, haben schon einige Motorbootfahrer eine Sondergenehmigung für die sonst gesperrten Fließe im Naturschutzgebiet. Trotz dieser negativen Erfahrungen, gefiel es uns im Unterspreewald sehr gut. Es bleibt nur zu hoffen, daß zumindest ein Teil dieser Naturlandschaft weiterhin von uns Kanuten mitgenutzt werden darf.
Einen Einblick in das dörfliche Leben im Spreewald, vermittelte uns am letzten Tag unseres Aufenthaltes eine Kanufahrt durch Lehrde, einem typischen Spreewalddorf mit vielen kleinen Fließen und wenig Straßen. Selbst die Post wird heute noch im traditionellen Spreewaldkahn ausgefahren. Riesige Kürbisse und sauber geschichtete Misthaufen zieren hier die kleinen Bauernhöfe. Uralte Holzhäuser in Blockbauweise zeugen von einer gediegenen und naturverbundenen Lebensart. Der Besuch der Wotschofska, einem mitten im Wald gelegenen Spreewälder Wirtshaus, rundete diesen Einblick in das Leben der Spreewälder Bevölkerung ab.
Nach einer Woche war unser Urlaub leider vorbei. Mit vielen neu gesammelten Eindrücken ging es wieder zurück in Richtung Heimat. Bei sehr gutem Herbstwind konnten wir sogar noch unsere selbstgebauten Lenkdrachen, irgendwo zwischen Leipzig und Dresden, steigen lassen. Ein gelungener Urlaub lag hinter uns. Fest steht, daß dies nicht unser letzter Spreewaldbesuch sein wird.